Meine Krankheit

Hier ein bisschen wissenschaftliches über meine Erkrankung:
Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit
(X-verkettete Myelinisierungsstörung)
Klinische und molekulare Aspekte

Originaltext von:
Dr. Odile Boespflug-Tanguy, University d’Auvergne, Clermont-Ferrand, France

Angeborene Fehler bei der Myelinbildung bei Kindern stellen einen Großteil der Leukodystrophien ohne biochemische Marker dar. Unter diesen ererbten Myelinisierungsstörungen ist eine X-verkettete Form oder Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit die einzige, die ausreichend beschrieben ist um einen molekularbiologischen Zugang zu ermöglichen. Um die genetische Beratung in Bezug auf diese Behinderung zu verbessern, entschlossen wir uns ihre genetische Homogenität anhand molekularbiologischer Studien zu analysieren. Zu diesem Zweck musste man zunächst die klinische Homogenität bestimmen.

Was ist die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit?
1885 beschrieb Pelizaeus in einer großen Familie eine neurologische Störung, die durch eine X-verkettete Vererbung und das frühe Auftreten einer verschlechterten motorischen Entwicklung gekennzeichnet war. Als Merzbacher 1910 die Gehirne verstorbener Patienten dieser Familie analysierte, fand er eine Beteiligung der weissen Substanz, wobei das Fehlen der Myelinscheiden ausschließlich auf das Zentralnervensystem (ZNS) begrenzt war ohne Beteiligung von Nervenzellen und Axonen und ohne Entzündung, was einen primitiven, abnormen Myelinbildungsprozeß nahelegt. Es wurden erhaltene Myelininseln um Blutgefäße herum beobachtet, wodurch die weisse Substanz ein charakteristisch fleckiges Erscheinungsbild bekam. Später wurde normales neutrales Lipidmaterial, durch Sudan-Schwarzfärbung in der weissen Substanz nachgewiesen, wodurch diese Krankheit als eine sudanophile Leukodystrophie klassifiziert wurde, im Vergleich zu abnormem Material, das bei metachromatischer Leukodystrophie gefunden wird. Seit Merzbachers erstem Bericht wurden zahlreiche andere Patienten mit den gleichen neuropathologischen Merkmalen beschrieben. 1970 schlug Seitelberger vor, diese verschiedenen Berichte nach dem klinischen Standpunkt in sieben Formen zu klassifizieren, und zwar nach der Übertragungsart und dem Ausbruchalter. Nur die ersten beiden Formen mit einer X-verketteten Vererbung müssen den Terminus P-M-Krankheit behalten. Typ I entspricht der klassischen Form mit langer Progression, wie Pelizaeus ihn beschrieb. Während Typ II, beschrieben von Seitelberger, als „kongenitaler“ Form, sehr rasch fortschreitet.

Klinische Analyse der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit
In einer europäischen kollaborativen Studie selektierten wir 34 Indexpatienten mit Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit, die die klinischen Kriterien von Bouloche und Aicardi (1986) erfüllten und bei denen eine abnorme Myelinbildung im ZNS durch elektrophysiologische und zerebrale Kernspintomographiestudien nachgewiesen war. Zwanzig waren familiäre Formen und 14 sporadische Fälle. Durch die Mitarbeit dieser 34 Familien und ihrer Ärzte waren wir in der Lage, die klinische Geschichte von 65 der insgesamt 78 betroffenen Jungen zu rekonstruieren.

Hypotonie war das klinische Hauptmerkmal, das schon früh vorlag und lebenslänglich anhielt, zusammen mit ruckartigen Bewegungen von Truncus und Kopf. Häufig wurde über Probleme beim Füttern innerhalb des ersten Lebensjahres berichtet. Stridor (pfeifendes Atemgeräusch) trat bei 5 % der Fälle in den ersten Lebensmonaten auf. Choreoathetosische Bewegungen der Gliedmaßen wurden in allen Fällen zwischen dem sechsten und achtzehnten Monat genannt. Spastizität der Gelenke an den Gliedmaßen, mit gleichzeitigen Symptomen der Pyramidenbahn lag in allen Fällen um das vierte Lebensjahr herum vor. 88 % der Betroffenen litten an willkürlichen Augenbewegungen (Nystagmus), wobei 85 % der genannten Fälle zwischen dem ersten und zweiten Lebensmonat erstmals auffielen, im zweiten Lebensjahr an Intensität nachließen und in 12 % der Fälle nach 12 Jahren völlig aufhörten. Bei vier Familien lag bei 100 % der betroffenen Jungen eine schnelle Progression vor, wobei ein nahezu völliges Fehlen der psychomotorischen Entwicklung vorlag und die Patienten maximal zehn Jahre alt wurden. Dies entspricht der „konatalen“ Form Seitelbergers.
Bei den übrigen 30 Familien lag bei 10 % der Patienten aus vier verschiedenen Familien ein ebenso rasches Fortschreiten vor, während 90 % die klassische langsame Progression aufwiesen, mit Leistungsverbesserungen bis zum zehnten/zwölften Lebensjahr. Trotz der parasitischen Bewegungen erlangten 85 % der Betroffenen eine Kopfkontrolle zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr, 43 % konnten in einem Rollstuhl sitzen und 14 % lernten zwischen dem fünften und zehnten Lebensjahr mit Unterstützung laufen. In allen Fällen überwogen die motorischen Probleme. Das Begriffsvermögen blieb den Kindern erhalten, wodurch es zu einer guten Interaktion mit den anderen Familienmitgliedern kam. Es gibt keine Berichte über Verhaltensauffälligkeiten. Eine gute Korrelation zwischen motorischen, sprachlichen und schulischen Leistungen wurden beobachtet. Patienten, die mit Unterstützung gehen konnten, hatten eine dysathrische aber verständliche Sprache, besuchten die Grundschule und lernten Schreibmaschineschreiben. Bei den meisten Patienten kam es nach dem Höhepunkt ihrer psychomotorischen Entwicklung zu einer langsamen Verschlechterung zwischen dem 15. und 20. Lebensjahr und der Tod trat mit durchschnittlich 40 Jahren (+/- 11 Jahre) ein.

Bei allen Indexpatienten kontrastierte eine abnorme ZNS-Leitung, analysiert durch zentral evozierte Potentiale, mit normalen peripheren Nervenleitungsgeschwindigkeiten. Beim CT-Scan des Gehirns beobachtete man nur in 10 % der Fälle eine abnorme Dichte der weissen Substanz. Im Gegensatz dazu zeigten die 40 Kernspintomographien die bei Betroffenen gemacht wurden, ein abnormes Hypersignal der weißen Substanz statt des Hyposignals durch Lipide, die dann in der weissen Substanz vorliegen, wenn die Myelinbildung ausreichend weit fortgeschritten ist. Bei sechs obligaten Trägern zeigte die Kernspintomographie keine Anomalien der weissen Substanz.

Die bemerkenswerte klinische Homogenität dieser Krankheit, charakterisiert durch diagnostische Kriterien während des Lebens der betroffenen Patienten, ermöglichten es uns mit den molekularbiologischen Studien zu beginnen.

PELIZAEUS-MERZBACHER-KRANKHEIT und das Proteolipoprotein (PLP)-Gen
Verschiedene Argumente erlaubten es das Proteolipoprotein-Gen mit der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit in Verbindung zu bringen:

1. Es wurde dem X-Chromosom zugewiesen.
2. Es kodiert in den Oligodendrozyten für zwei Proteine (PLP, DM20), die das
Hauptprotein des ZNS-Myelin sind und nicht im peripheren Nervensystem gefunden werden, wie die Verteilung der abnormen Myelinbildung, die man bei der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit beobachtet hat.
3. Bei verschiedenen Tiermodellen einer X-verketteten Myelinisierungsstörung fand man eine Punktmutation in verschiedenen Exons des PLP-Gens.

Aus all diesen Gründen begannen A. Dautigny und D. Pham Dinh (Paris) den Kodierungsbereich (Exons) des PLP-Gens bei Betroffenen zu analysieren.
Wir konnten nur bei 10 % der 16 analysierten Patienten eine Mutation nachweisen und die gleichen Ergebnisse wurden auch von anderen Teams erzielt. Wenn die PLP Exonmutation bei der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit nur selten auftritt, könnten die nicht-kodierten Regionen des Gens oder ein anderes unbekanntes Gen auf dem X-Chromosom involviert sein. Vor die Wahl gestellt zwischen diesen beiden Möglichkeiten entschlossen wir uns, die Wahrscheinlichkeit einer Verbindung zwischen dem PLP-Gen und der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit zu bestimmen (Verbindungsanalyse). Zu diesem Zweck analysierten wir die DNA von 113 Probanden aus 16 „informativen“ Familien mit genetischen Untersuchungen um die Innenseite des PLP-Gens herum. Wir wiesen eine enge Verbindung zwischen dem PLP-Gen und der Krankheit nach.

Molekulardiagnose der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit für die genetische Beratung
Mit Hilfe der verschiedenen Ergebnisse sind wir jetzt in der Lage, die Aufdeckung weiblicher Träger und die pränatale Diagnose bei Familien zu verbessern, in denen die betroffenen Patienten die strikten Diagnosekriterien wie oben beschrieben erfüllen. Zu diesem Zweck suchen wir nach direkten und indirekten Molekulardiagnosen durch verschiedene Techniken.

1. Direkte Diagnose: Da jede Familie eine andere PLP-Genmutation hat, muß auch in jedem Fall extensiv geforscht werden. Exonmutationen werden anhand von Blut oder peripherer Nervenbiopsie des betroffenen Patienten analysiert, werden jedoch, wie wir bereits erwähnten, nur selten gefunden. Die Entwicklung schneller und sensitiver Techniken, die zum Screening der nicht-kodierten Region des PLP-Gens führen, wird in unserem Labor vorangetrieben.

2. Indirekte Diagnose: Ziel dieses Verfahrens ist es nicht den involvierten genetischen Defekt aufzuspüren, sondern für jede einzelne Familie einen genetischen Marker der PLP-Region zu finden, der eng mit der Krankheit verbunden ist. Davon ausgehend, daß sein Vorliegen ein Vorhandensein des mutierten X-Chromosoms sehr wahrscheinlich macht (Restringierte-Fragmente-Längenpolymorphismus oder RFLP-Analyse). In Zusammenarbeit mit großen betroffenen Familien ist es uns gelungen, in dieser PLP-Region verschiedene Marker zu identifizieren, die für diese Analyse geeignet sind. In den 20 analysierten Familien konnten wir mit Hilfe von fünf dieser Marker den Status von 95 % der Frauen bestimmen, die ein Risiko haben, die Krankheit zu übertragen. Bei den weiblichen Trägern kann so eine pränatale Diagnose in den meisten Fällen mit großer Genauigkeit durchgeführt werden. Die Genauigkeit wächst noch, wenn der informative Marker innerhalb des PLP-Gens liegt und wenn eine ausreichende Anzahl von Familienmitgliedern analysiert ist.

Drei schwangere Trägerinnen haben schon von der Pränataldiagnosik profitiert, eine durch die direkte und zwei durch die indirekte Methode. In unserem Labor suchen wir weiterhin nach neuen Markern, die für diesen Analysetyp nützlich sind, um möglichst vielen Familien eine genaue Diagnose stellen zu können.

Schlußfolgerungen
Unter den ererbten Fehlern bei der Myelinbildung kann die X-verkettete Form der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit im Verlauf des Lebens der Betroffenen leicht anhand von klinischen, elektrophysiologischen und neuroradiologischen Kriterien erkannt werden. Die große Mehrheit der Patienten kann ihre Leistungsfähigkeit bis zum Erwachsenenalter verbessern und sie müssen aktiv in ihrer psychomotorischen Entwicklung unterstützt werden. Ihr langes Überleben mit Axis-Hypotonie und pyramidaler Spastizität der Gliedmaße erfordert eine frühe orthopädische Behandlung. Es existiert eine enge Verbindung zwischen dieser Krankheit und dem PLP-Gen. Eine Exon-Mutation des Gens kann nur selten nachgewiesen werden, aber eine indirekte molekulare Diagnose durch RFLP-Analyse anhand verschiedener Marker der PLP-Region ist möglich und erlaubt es, bei den meisten Familien Trägerinnen zu entdecken und eine fötale Diagnose vorzunehmen.
Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit

Synonyme:
Diffuse familiäre Hirnsklerose
Aplasia, Axialis Extracorticales Congenita
Sudanophile Leukodystrophie
Pelizaeus-Merzbacher Hirnsklerose

Allgemeine Diskussion
Die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit ist eine progressive, degenerative Erkrankung des Zentralnervensystems, bei der sich Koordination, motorische und intellektuelle Fähigkeiten verschlechtern. Sie schreitet oftmals sehr rasch voran, obwohl manche Patienten sehr alt geworden sind. Die Krankheit tritt fast immer bei Männern auf.

Symptomatologie
Die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit tritt meist bereits im frühen Säuglingsalter auf, obwohl der Ausbruch bei einer Form erst später erfolgt. Das Kind entwickelt keine normale Kontrolle der Kopfbewegung und wächst nur langsam. Die Augen wandern ziellos umher oder bewegen sich im Kreis. Später einsetzende Symptome sind Tremor, verschiedene unfreiwillige Bewegungen, Grimassenschneiden, Schwäche, unsicherer Gang und Muskelkontraktionen. Bei Fällen mit einem späteren Ausbruch verschlechtert sich gewöhnlich die Sprache. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer Spastizität der Beine und dann der Arme, und die geistigen Fähigkeiten verschlechtern sich. Bei einigen Patienten treten Krämpfe auf. Es kann aufgrund muskulärer Belastungen auf dem Knochen zu Skelettverformungen kommen.
Pathologische Veränderungen des Gehirns bestehen aus einer Zerstörung der Myelinscheide (eine Art Isolierung), die die Axone der Nervenzellen umgeben (die weiße Substanz des Gehirns). Die Veränderungen treten in subkortikalten Teilen des Großhirns (Cerebrum), des Kleinhirns (Cerebellum) und dem Hirnstamm auf. Abbauprodukte des Myelins sammeln sich im Gehirn. Diese färben sich charakteristisch ein.

Ätiologie
Die Gründe für die Degeneration der weißen Substanz im Gehirn sind noch unbekannt. Die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit ist erblich. Infantile Formen sind entweder autosomal-rezessiv oder X-verkettet. Hereditäre Eigenschaften werden gewöhnlich von zwei analogen Genen bestimmt. Bei einer rezessiven Störung sind beide Gene defekt. Wenn ein Gen normal und eins defekt ist, ist der Betroffene gesund. Wenn beide Elternteile ein defektes Gen haben, liegt das Risiko jedes Kindes, die Krankheit zu erben, bei 25 Prozent. Wenn ein Betroffener eine Trägerin des defekten Gens heiratet, liegt das Risiko jedes Kindes die Krankheit zu erben bei 50 Prozent. X-verkettete rezessive Eigenschaften werden vorwiegend bei männlichen Nachkommen exprimiert. Frauen tragen das Gen auf einem ihrer zwei X-Chromosomen. Das zweite X-Chromosom wird die Eigenschaft jedoch „maskieren“, wenn es sich hierbei um eine X-verkettete rezessive Eigenschaft handelt. Die Eigenschaft wird bei männlichen Nachkommen exprimiert, weil sie anstatt eines zweiten X-Chromosoms ein Y-Chromosom haben, das das schädliche Gen nicht „maskiert“. Betroffene Männer können die Eigenschaft nicht an ihre Söhne weitergeben.

Eine Form die erst im Erwachsenenalter ausbricht ist autosomal dominant. (Bei autosomal dominanten Krankheiten „überflügelt“ ein einziges abnormes Gen, das von einem der beiden Elternteile übertragen wird, das normale Gen vom anderen Elternteil und verursacht die Krankheit. Personen mit einem betroffenen Elternteil haben ein Risiko von 50 Prozent, die Krankheit zu erben. Hierbei werden weibliche und männliche Nachkommen gleichermaßen betroffen.)

Betroffene Population
Eine Form der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit betrifft nur männliche Säuglinge. Andere Formen betreffen Säuglinge und Erwachsene beiderlei Geschlechts.

Verwandte Krankheiten
Die Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit gehört zu einer Gruppe degenerativer Gehirnerkrankungen, bekannt als Leukodystrophien. Diese werden durch die Zerstörung der weißen Substanz des Gehirns gekennzeichnet und schließen Krankheiten wie „Krabbe’s“, „Shilder’s“ und Adrenoleukodystropie sowie verschiedene andere ein.

Standardtherapien
Die Behandlung der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit ist symptomatisch. Unterstützende Pflege einschließlich emotionaler Unterstützung der Familienmitglieder wird nach Bedarf empfohlen.

Quellen
United Leukodystrophy Foundation, Inc.
2304 Highland Drive
Sycamore, IL 60178
(815) 895-3211